Unser dritter Beitrag über die Iran-Lügen des Mainstreams unter dem Titel "Die Isolationslüge" erscheint morgen.
Heute bringen wir mit freundlicher Genehmigung des Autors den Artikel "Volk gegen Volk" von Jürgen Todenhöfer. Unter dieser Überschrift erschien der Beitrag am 3. September in der Printausgabe der Süddeutschen Zeitung. In der Olineausgabe fehlt der interessante Standpunkt Jürgen Todenhöfers.
Auch wenn wir uns wegen der massiven Einmischung von außen in Syrien, der vielen ausländischen Söldner und dem Charakter des Konfliktes als Stellvertreterkrieg, nicht ohne weiteres dem Terminus "Bürgerkrieg" anschließen: Eine verbreitenswerte Analyse des Krieges und kompakter Überblick über die Chronologie der Ereignisse in Syrien.
Unsere Ansichten unterscheiden sich marginal. Wir fühlen uns Jürgen Todenhöfer verbunden.
Volk gegen Volk
Der syrische Krieg ist von außen nur noch schwer zu
durchschauen, weil er ständig sein Gesicht verändert. Vier Phasen gab es
bisher.
Die erste von März bis Ende April 2011 ist die Zeit
friedlicher Demonstrationen. Ermutigt durch den arabischen Frühling
fordern nicht nur Angehörige der vernachlässigten sunnitischen
Unterschicht Freiheit, Demokratie und soziale Gerechtigkeit. Jede ihrer
Forderungen ist legitim. Selbst der Ruf nach einem Rücktritt des
Präsidenten. Westliche Oppositionelle fordern so etwas auch.
Problematisch
sind ihre Steinwürfe und Angriffe auf Polizeistationen. Doch auch das
kennt man aus westlichen Demokratien. Gut ausgebildete Polizisten können
damit umgehen. Die syrischen Sicherheitskräfte nicht. Als Anfang März
zornige Väter gegen die Festnahme ihrer Kinder protestieren, schießt der
Geheimdienst. Es gibt viele Tote. Der syrische Präsident trägt hierfür
die politische Verantwortung. Er ernennt die Toten zu Märtyrern - das
ist mit umfangreichen staatlichen Leistungen verbunden. Er trifft die
Eltern und versucht, den Konflikt zu beruhigen. Doch es gibt Kräfte, die
keine Beruhigung wollen. Ende April sind auf einmal Waffen und Geld da.
Hauptsponsor ist wie in Libyen das kleine Katar, dessen Emir die
arabische Revolution als Profilierungschance sieht. Er würde gerne den
Platz Saudi-Arabiens einnehmen und wichtigster Verbündeter der USA in
der Region werden.
In Phase zwei, von Mai bis August 2011,
treten die ersten bewaffneten Kämpfer auf. Darunter Scharfschützen, die
merkwürdigerweise sowohl auf Demonstranten als auch auf
Sicherheitskräfte schießen. Sie heizen die Lage dramatisch an. Dass es
diese Provokateure gibt, ist weitgehend unstreitig; umstritten ist, für
wen sie arbeiten. Für inländische oder ausländische Geheimdienste, für
Rebellen? Jeder im Land hat seine eigene Theorie.
Demonstrieren
wird gefährlicher, die Kundgebungen aber werden größer. Auch das Regime
organisiert Märsche, an denen bis zu eine Million Menschen teilnehmen,
Mitglieder der sunnitischen Mittel- und Oberschicht, Alawiten und
Christen. Auch sie fordern Demokratie, aber mit Assad. Zu größeren
Gefechten kommt es noch selten. Die Rebellen haben nur leichte Waffen
und sind den staatlichen Sicherheitskräften deutlich unterlegen.
Süddeutsche vom 3. September 2012 |
In
der dritten Phase, von August bis Ende 2011, präsentieren sich die
bewaffneten Rebellen als Schutztruppe friedlicher Demonstranten. Doch
sie spielen diese Rolle nie wirklich. Wo sie mit Demonstranten
auftreten, suchen die bewusst die Konfrontation mit den
Sicherheitskräften. Diese schlagen hart zurück. Rebellen, Zivilisten,
Soldaten und Polizisten sterben. Gleichzeitig greifen extremistische
Rebellen zunehmend alawitische Zivilisten an, die sie pauschal als
Vertreter des Regimes betrachten. Alawiten rächen sich an Sunniten. Die
Kämpfe werden sektiererisch.
In der vierten Phase, von
Anfang 2012 bis heute, verselbständigen sich die bewaffneten Rebellen.
Und radikalisieren sich. Zu viele Freunde und Verwandte sind gefallen.
Immer mehr Waffen fließen ins Land. Ab März auch schwere Waffen aus
Katar und Saudi-Arabien. Die USA, deren Zentralkommando für den Nahen
Osten sich in Katar befindet, geben politische Schützenhilfe. Nichts
geschieht ohne ihre Billigung. Nach außen bleiben sie im Hintergrund; es
ist ein Krieg per Fernbedienung. Es kommt zu schweren Gefechten mit den
staatlichen Sicherheitskräften, die sich ebenfalls radikalisiert haben.
Die
demokratischen Demonstranten der ersten Tage werden an den Rand
gedrängt. Aus den friedlichen Protesten eines Teils der Bevölkerung ist
ein erbarmungsloser Bürgerkrieg zwischen Anhängern der Regierung und
Anhängern der bewaffneten Opposition geworden. Die Regierungstruppen
bombardieren gnadenlos Wohngebiete, in denen sich Rebellen verbergen.
Sie töten dabei auch Zivilisten. Die Rebellen exekutieren immer häufiger
'feindliche' Zivilisten. Einige arbeiten eng mit Terrorkommandos von
al-Qaida zusammen. Beide Seiten haben jedes Maß verloren. Es gibt keine
anständigen Kriege.
Der Slogan 'Assad tötet sein eigenes
Volk' geht an der Realität dieses gegenseitigen Mordens vorbei. Beide
Seiten töten das 'eigene' Volk. Ein Drittel der Getöteten dürften
Sicherheitskräfte sein, ein Drittel Rebellen, ein Drittel Zivilisten.
Regierung und Rebellen töten wahrscheinlich gleich viele Zivilisten. Wie
in den meisten Bürgerkriegen. Die besondere Tragik dieses Bruderkrieges
liegt darin, dass beide Seiten nur Marionetten eines großen, zynischen
Machtspiels sind. Die Hauptaufgabe der Muslime des Nahen Ostens scheint
darin zu bestehen, sich gegenseitig umzubringen. Wie einst unter
Lawrence von Arabien. Divide et impera, teile und herrsche!
Dieses Machtspiel wird auf vier Ebenen ausgetragen.
Auf
der ersten Ebene versuchen die USA, Katar und Saudi-Arabien, den
Iran-Verbündeten Assad zu stürzen, um dadurch den Einfluss Teherans im
Nahen Osten zu schwächen. Iran ist ihnen durch Bushs törichten Irakkrieg
zu mächtig geworden.
Auf der zweiten Ebene kämpfen extremistische
Sunniten und Al-Qaida-Kämpfer aus aller Welt gegen das 'ketzerische'
Schiiten- und Alawitentum.
Auf der dritten versuchen die USA in
Fortsetzung des Ost-West-Konflikts, Russland aus dem Nahen Osten zu
verdrängen. Moskau wehrt sich.
Auf der vierten schließlich ringen
Regierung und Opposition unter großen Blutopfern um die Macht in Syrien.
Die Kämpfer ahnen nicht, dass sie am Ende erneut die Vormacht anderer
anerkennen sollen. Und wieder verraten werden.
Die US-Regierung
versucht, diese diabolischen, ineinander verknoteten
Stellvertreterkriege durch Desinformation im Stil des Irakkriegs zu
vertuschen. Sie erzählt das Märchen vom demokratischen Aufstand eines
Volkes, den Amerika unterstützen müsse. Doch um Demokratie geht es den
USA nirgendwo in der arabischen Welt. Die USA beabsichtigen nicht, ihre
Ölversorgung vom Ergebnis demokratischer Wahlen im Nahen Osten abhängig
zu machen. Diese Chaosstrategie ist wie beim Afghanistan- und Irakkrieg
in keinem Punkt zu Ende gedacht. Sie wird für den gesamten Nahen Osten
verheerende Folgen haben. Und wie ein Bumerang auf uns zurückschlagen.
Nur
die USA als Hegemonialmacht des Nahen Ostens könnten den syrischen
Knoten lösen. Durch direkte Verhandlungen mit allen Beteiligten. Dass
Assad Blut an den Händen hat, kann sie nicht wirklich stören. Auch Obama
hat Blut an den Händen. Das Blut Tausender Afghanen und Pakistaner. Und
vieler Syrer. Statt die Syrientragödie anzuheizen, sollte Barack Obama
vermitteln. Es wäre die erste wirkliche Friedenstat des
Friedensnobelpreisträgers.
Von Jürgen Todenhöfer