Liebe Leser von Hinter der Fichte. Wir stellen unseren für heute geplanten Beitrag über die Journalistenmorde in Syrien zurück. Vielleicht lösen ja Armbruster, Buhrow und Co. heute noch eine Medienkampagne für ihre ermordeten und entführten syrischen Kollegen aus.
Stattdessen bringen wir diesen Beitrag von Christoph Hörstel, der sich vorbildlich für eine objektive Berichterstattung über Syrien einsetzt.
Steht
Syrien vor dem Scheitern?
Eine Bestandsaufnahme
Eine Bestandsaufnahme
Die große
Linie ist kristallklar: Syrien wurde hauptsächlich aus drei Gründen
von der NATO und deren arabischen Komplizen in der bekannten Härte
und Größenordnung angegriffen:
- freies Schussfeld für eine spätere Entscheidung Washingtons über den Angriff auf Iran – dazu gehört auch die möglichst weit reichende Störung des guten Verhältnisses zu Hisbollah und Hamas. Bevor hier wieder die üblichen laienhaften Vorstellungen über Israels Rolle aufkommen: Washington entscheidet – wenn auch unter wachsendem israelischem Einfluss, der vielen Amerikanern ein wachsender Dorn im Auge ist, weil sie die wachsende, kurzsichtige und gefährliche Abenteuerlust Israels als Bedrohung für US-Interessen ansehen.
- Beseitigung eines wichtigen Gegenspielers Israels in der Region – dazu gehört die unbedingte und endgültige Störung des religions- und ethnischen Friedens im Lande
- Kontrolle über Energierohstoffe und Pipelines: USA und Nato arbeiten wie eine Räuberbande und greifen nur solche Länder an, die über finanziell verwertbare Reichtümer verfügen. Hauptinteressen: Energierohstoffe wie Öl und Gas, andere Bodenschätze, gern für die Elektronik-Industrie und außerdem Wasser.
Eine
weitere große Linie ist ebenfalls klar – die Gründe für das
bevorstehende Scheitern Syriens liegen auf der Hand:
- Syrien hat sich durch die Verkrustung und Korrumpierung eines autoritär geführten Systems bei gleichzeitiger Unfähigkeit zur Außendarstellung sehr angreifbar gemacht. Syrien hatte bei Machtantritt des jetzigen Präsidenten Baschar al-Assad versäumt, die Altlasten aufzuräumen (Hama-Massaker 1982) und überfällige Reformen durchzuziehen. Der Präsident hatte dies ehrlich, geduldig und fleißig versucht.
- Mit dem Beginn der Einmischung von außen hat das syrische Regime die erwartbaren Fehler gemacht – und nicht schnell genug korrigiert. Bad darauf beging die Außenpolitik in ihrer verständlichen Frustration den gewaltigen Fehler, das gewaltige Potenzial der Regierungskritik in den Nato-Ländern einfach vom Tisch zu wischen mit der Bemerkung des Außenministers al-Mouallem von der „Tilgung Europas von der politischen Landkarte“. Gleichzeitig wurde fatalerweise versäumt, die PR-Arbeit zu reformieren und zu stärken. Es gibt geradezu eine Gegnerschaft in syrischen Kreisen gegen PR-Konzepte. So funktioniert Scheitern: Die USA haben PR-Arbeit direkt in ihre militärischen Konzepte integriert und sind mit diesem an sich banalen Trick weltweit hoch erfolgreich. Sie können das, weil andere Völker sich mit ihren rückständigen Regierungen geradezu weigern, daraus zu lernen.
- In der jetzigen Spätphase haben Geheimdienste und Militärs das Heft in die Hand genommen – mit der fatalen Folge, dass der Vorrang zivilgesellschaftlichen Zusammenhalts, der Fürsorge für alle Notleidenden und der kompromissfähigen Versöhnung mit Versöhnungswilligen aus dem Blickfeld gerät. Dieser Krieg ist militärisch nicht gewinnbar. Wer das missachtet kann auch den Frieden niemals gewinnen – eine immerhin weit größere Aufgabe als die Niederschlagung eines von außen befeuerten „Aufstandes“.
- Beispielhafte und in gewissem Maße auch erfolgreiche Ansätze wie die formale Abschaffung der Einparteienherrschaft und die jüngsten Wahlen sind im Bewusstsein der globalen Völkergemeinschaft nicht angekommen, weil Syrien es versäumt hat, in diese Arbeit zu investieren. So kann in den Angreiferländern ein Bewusstseinswandel nicht in ausreichendem Maße entstehen – und deshalb fehlen dort die politischen Gegenkräfte gegen kriminelles Regierungshandeln, obwohl die Kritikbereitschaft durchaus vorhanden ist, auch aus anderen Gründen: Finanzmafia, Euro-Krise, politische Korruption (9/11, „Al-Qaeda“-Zusammenarbeit) und Aggression (Balkan, Afghanistan, Irak, Libyen).
Dass es
Syrien nicht gelungen ist, ausländische Aktivisten erfolgreicher zu
integrieren, liegt eher weniger an den Aktivisten als an genannten
systemischen Mängeln zuzüglich Mentalitätsproblemen in Syrien.
Diese Probleme haben oftmals ihre Wurzel in der intern verkrusteten
Korruption in Syrien: Zu viele nicht ausreichend kompetente
Funktionsträger befürchten die Entdeckung ihrer Fehler durch den
Präsidenten und Vorgesetzte/Kollegen. Wie schon in
Facebook-Einträgen berichtet, wurden dem Autor wahlweise
vorgeworfen: frühere Geheimdienstmitarbeit verschwiegen zu haben
(lächerlich, 2007 in Buchform und später mehrfach in öffentlichen
Beiträgen erwähnte, sehr kurzzeitige und geringfügige Kontakte,
volles Briefing an den syrischen Botschafter). Syrer beanspruchen
gern Exklusivität in der Bearbeitung eines Falles oder Anliegens:
Mangelnde Teamfähigkeit kann Lösungsansätze auch sehr erfolgreich
verhindern.
Leider
zeigt der politisch aggressive und korrupte Westen hier ein
überlegenes Handwerkszeug. Die Menschheitsgeschichte kennt solche
Konstellationen: bessere Faustkeile, die ersten Messer,
Bogenschützen, Feuerwaffen, Raketen, Atomwaffen – und heute:
PR-Lufthoheit und hohe Integrationsstufen der angewandten Mittel:
Geheimdienste mit BlackOps, Terrormanagement,
Stellvertreter-Aggression (Türkei, Saudi-Arabien, Qatar).
Dieses hoch
korrumpierte westliche System wird sich schließlich langfristig
selbst abschaffen. Syrien gibt es dann allerdings schon lange nicht
mehr in der heutigen Form.
Die
nächsten Monate folgen dieser Logik: US-Präsident Obama steht in
der Pflicht, bis zu den Präsidentschaftswahlen die Syrienfrage
gelöst haben zu müssen. Nach den Wahlen muss der dann amtierende
Präsident, vermutlich Obama, den Iran angreifen, weil das die Logik
aus Finanz- und Budgetkrise erfordert.
Dabei kommt
Obama offenbar unter Zeitdruck und setzt erkennbar auch auf die
Mordoption. So wurde im Libanon der ehemalige Informationsminister
und enge Assad-Freund Michel Samaha inhaftiert, nachdem er
aufgefordert worden war, Assad telefonisch zu erreichen. Insider
vermuten nun, die USA hätten geplant, den Anruf nachzuverfolgen und
mit einem parallelen sofortigen Raketeneinsatz den syrischen
Präsidenten zu töten. Dieser Ansicht ist jedenfalls Michel Samaha,
hat seine Kooperation als Zwangskomplize eines Mordkomplotts
dankenswerterweise verweigert – und deshalb habe man ihn
inhaftiert. Offizielle Anklage in bester US-Manier (wirf Deinem
Gegner vor, was Du selbst tust): Terroraktivitäten.
(http://www.dailystar.com.lb/News/Politics/2012/Aug-10/184104-samaha-arrested-on-terrorist-suspicions.ashx#axzz23KWqqkpY)
(http://english.al-akhbar.com/content/samaha-be-indicted-lebanon-terror-plots)
Ein
Mordversuch ist auch deshalb wahrscheinlich, weil, anders als
seinerzeit im Fall Saddam Hussein, Doppelgänger für Assad weder
verfügbar noch leicht zu beschaffen sind. Das politisch kriminelle
Vorgehen der USA weist darauf hin, dass Washington wegen des
Zeitdrucks den Eindruck hat, mit dem Rücken zur Wand zu stehen: Dies
könnte die Motivation dafür erklären, auch zu derart abwegigen
Methoden greifen zu müssen.
Für die
Nato-Partner bleibt eine ganz simple Feststellung: Ihre Regierungen
kriminalisieren sich mit Beteiligung an diesen Machenschaften. Mit
Abscheu ist in diesem Zusammenhang zur Kenntnis zu nehmen, dass der
BND in Syrien besonders hohe Präsenz zeigen soll.
(http://www.welt.de/politik/deutschland/article108564662/Paradigmenwechsel-beim-Bundesnachrichtendienst.html)
BND und Bundeswehr haben bedauerlicherweise eine lange, traurige
Historie einer Politik des Mordkomplizentums im kolonialen Auftrag
aus Washington.
Das Gesetz
ist geduldig.
Fazit mit
Blick auf Syriens Politik: Wenn in den nächsten Tagen zu den
erstaunlichen Wendungen in Sachen Verfassung und Wahlen nicht eine
radikale politische Kehrtwendung hinzukommt: zu direkt politisch
umgesetzter PR-Arbeit in den Nato-Ländern, ist Syrien trotz mancher
Kampferfolge am Boden nicht mehr zu retten.
Twitter: @hoerstelc
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Es gibt aber nach wie vor ein Primat der Politik (Inhalt) vor der PR (Vehikel). Wir verstehen jedoch Christoph Hoerstels Frust und stimmen seiner Auffassung völlig zu, dass bei der Konfrontation mit der psychologischen und militärischen Kriegsführung der NATO auch eine offensive Informationskampagne durch den angegriffenen Staat geführt werden muss.