In Russland darf man Meinungen äußern, die sich „freie“ Journalisten unter der NATO-Glocke aus Linientreue oder Angst um Job und Existenz nicht zu veröffentlichen wagen.
Mit freundlicher Genehmigung von Stimme
Russlands bringt "Hinter der Fichte" ein Interview mit Dmitri
Kisseljow:
„Das Verhalten des Westens grenzt an
Schizophrenie“
STIMME RUSSLANDS
STIMME RUSSLANDS
Dmitri Kisseljow, der Generaldirektor
der Internationalen Informationsagentur „Rossija Segodnja“ („Russland heute“)
und Autor sowie Moderator des Programms „Nachrichten der Woche“ ist der einzige
Journalist in der Welt, auf den sich politische Sanktionen beziehen.
Die Europäische Union hat den bekannten
Fernsehmoderator auf die Liste der Russen gesetzt, die ein Einreiseverbot in
die EU bekommen und deren Immobilienbesitz und Konten eingefroren werden. Das
Weltkomitee für die Pressefreiheit, eine der führenden Organisationen für die
Rechte von Journalisten, nimmt den Journalisten Dmitri Kisseljow, der unter die
Sanktionen der Europäischen Union fällt, in Schutz. Aber, wie Dmitri Kisseljow
der Zeitung „Iswestija“ selbst erzählt, ist die Einführung von Sanktionen gegen
ihn nicht die Einschränkung der Freiheit eines einzelnen Journalisten, sondern
der ganzen Journalistik der Welt. In der modernen Geschichte, erklärt der
Leiter der internationalen Informationsagentur „Rossija Segodnja“ („Russland
heute“), haben Russland und der Westen die Rollen getauscht. Jetzt ist unser
Land der Hauptverteidiger der demokratischen Prinzipien und der Freiheit.
Sie sind der einzige Journalist, auf den
sich die Sanktionen ausweiten. Man kann sagen, Sie sind der Juri Gagarin der
modernen Journalistik. Haben Sie das erwartet?
„Das betrifft alle Journalisten. Zum
ersten Mal, wenn ich mich recht erinnere, sind Sanktionen im internationalen
Ausmaß gegen einen Journalisten verhängt worden. Ich bin nur der Journalist X.
Dabei war Europa der Initiator der Sanktionen, und das zeugt von einer
offenkundigen Missachtung der Werte des freien Wortes durch die Beamten der
Europäischen Union. Es wird ein sehr unangenehmer und gefährlicher
Präzedenzfall geschaffen — faktisch der Verrat an den europäischen Werten. Wenn
dieser Präzedenzfall legalisiert werden sollte, wenn die journalistische
Gemeinschaft — die europäische wie auch die amerikanische und die eines jeden
beliebigen anderen Landes — darauf nicht reagiert und dem keine Einschätzung
gibt, so würde das bedeuten, dass die Journalisten so etwas für rechtmäßig
halten. Das ist eine kardinale zivilisatorische Kehrtwendung — wir brauchen die
Freiheit des Wortes nicht und sie ist von jetzt an kein Wert mehr. Mehr noch:
die Position der Europäischen Union wird nicht nur durch die Entscheidung der
europäischen Bürokratie bekräftigt, sondern auch durch den Beschluss des
norwegischen Storting.“
Vielleicht hat sie die Aussage über
Schwule verletzt — „die Herzen von bei Verkehrsunfällen ums Leben gekommen
Homosexuellen sollen verbrannt oder vergraben werden“?
„Das ist ein voller Verrat an der
Freiheit des Wortes. Was die Schwulen betrifft, so ist meine Position hier
klar. Die Gay-Kultur hat ein Existenzrecht in Russland, und es gibt sie de
facto. Aber das ist die Kultur einer Minderheit, und so wird es bleiben. Weil
die Kultur einer Minderheit nicht der Mehrheit aufgezwungen werden darf, umso
mehr mit Gewalt, propagandistisch. Ich bin nicht der Meinung, dass eine
nichttraditionelle sexuelle Orientierung eine Krankheit ist. Ich bin auch nicht
der Ansicht, dass sie die physiologische Norm überschreitet, aber ich bin davon
überzeugt, dass sie die Grenzen der sozialen Norm übertritt. Jedes Land hat das
Recht auf eine soziale Norm. Bei uns ist die soziale Norm die Familie. Der
russische Staat ist auch deshalb dazu verpflichtet, unsere soziale Norm zu
unterstützen, weil sie für ihn lebensnotwendig ist. Die Familie bedeutet die
Geburt von Kindern. Und wir sind in einer demografischen Krise. Die Gay-Kultur
bei uns zu unterstützen, käme einer Selbstliquidierung gleich. Man schlägt uns
das vor. Aber wir sind ja nicht verpflichtet, uns damit einverstanden zu
erklären, nicht wahr?“
Sie haben Schwule als Bekannte. Wie ist
Ihr Verhältnis zu ihnen?
„Ich habe auch schwule Kollege. In ihrer
Masse sind das ruhige und stille Menschen, die im Schatten bleiben wollen. Sie
gehen mit ihrer Einstellung nicht hausieren. Ich bin noch nie mit Abneigung
seitens Schwuler mir gegenüber konfrontiert wurden. Ich bin ja auch kein
Schwulenhasser. Dem Westen gefällt ganz einfach ein Russland nicht, das sich in
der Aufwärtsbewegung befindet. Da liegt die Wahrheit. Wir sind im
Aufwärtstrend, auch wenn die Wirtschaft bei uns jetzt nicht so überzeugend ist,
wie wir das gerne hätten. Aber die Ökonomie verläuft in Zyklen. Nach einem
Abfall kommt immer ein Aufstieg. Aber wenn es eine solche Fernsehsendung gibt,
die Russlands Aufwärtstrend unterstützt und hilft, sich von den Wunden des 20.
Jahrhunderts zu befreien, legt der Westen ihrem Autor Sanktionen auf. Und sie
sagen noch, Kisseljow sei ein Schwulenhasser, ein Antisemit und ruft dazu auf,
Amerika abzufackeln, und so weiter. Irgendwie ist das alles nicht sehr schön.“
Und wer lässt jetzt Ihrer Meinung nach
den Eisernen Vorhang herab? Welche von beiden Seiten?
„Wir haben die Rollen getauscht. Russland
ist für die Freiheit des Wortes, der Westen schon nicht mehr. Es hat eine
tektonische Verschiebung gegeben, eine zivilisatorische. In Russland kann man
alles sagen, was man will; es gibt verschiedene Fernsehsender, das Internet
wird nicht blockiert, die Radiostationen und Zeitungen decken die gesamte
Bandbreite ab. Es gibt kein einziges verbotenes literarisches Werk. Es wird
alles gedruckt. Verboten ist nur das, was die Verfassung direkt untersagt.
Dabei bewahrt der russische Mensch eine kolossale Spanne — ein Abgrund unten
und ein Abgrund oben. Manche haben selbst das Wort „Patriotismus“ zu einem
Schimpfwort gemacht. Xenia Larina von „Echo Moskaus“ sagt zum Beispiel, dass
ihr beim Wort Patriotismus „Würmer und Kirschkerne hochkommen“. Und keiner
grenzt sie irgendwie ein. Natürlich, Xenia, reden Sie weiter. Die EU, die den
einen Sanktionen auferlegt und die anderen fördert, indem sie zum Beispiel
Tolokonnikowa und Aljochina, die auch die Ausweitung der Sanktionenliste
verlangen, im Europaparlament empfängt, zeigt, wen Europa fördert und wen es
nicht fördert. Gotteslästerliche Tänze in der Hauptkathedrale Russlands sind
für Tolokonnikowa und Aljochina wunderbar und nötig, aber die Freiheit des
Wortes für den Journalisten Dmitri Kisseljow persönlich und für das wichtigste
Informations- und Analyseprogramm, das so beliebt bei den Leuten ist – das ist
schlecht und darf nicht sein. „Es kommen Würmer hoch“ – wunderbar, aber wenn
unsere Korrespondenten und Reporter, die sehen, was in Kiew abläuft, vom
ukrainischen Faschismus erzählen — dann ist das schlecht. Daraus ergibt sich
eine verblüffende Wertekonstruktion. Übrigens ist Russland auch die von Nutzen.
Wir sehen ganz deutlich, wer wer ist und wofür.“
Das russische Außenministerium
hat erklärt, es sehe kein Einreiseverbot für westliche Journalisten vor. Das
heißt, wir antworten nicht mit gleicher Münze.
„Natürlich steht Russland moralisch
höher. Wir haben schon Zeiten durchgemacht, als die Freiheit des Wortes in der
UdSSR verletzt wurde. Zum Beispiel in der Stalinzeit. Wir haben die Zeiten des
Eisernen Vorhanges durchgemacht. Jetzt, wie seltsam es auch ist, tauschen wir
die Rollen. Russland ist einfach eine Leuchte der Freiheit des Wortes.
Irgendwer wird lachen, wie Xenia Larina, aber sie macht das frei live im Fernsehen,
ohne Angst vor Sanktionen seitens Russland oder der EU haben zu müssen. Weil
man sich bei uns live in einer Sendung faktisch ohne Einschränkungen der
Freiheit des Wortes bedienen und sie sogar missbrauchen kann, auch gegen den
Staat und das Vaterland. Deshalb wirken die Sanktionen der Europäischen Union
reell nicht gegen mich oder irgendwen sonst in Russland, sondern gegen die
europäischen Werte in Europa selbst. Die Europäische Union verkündet damit,
dass die Freiheit des Wortes von nun an für sie kein Wert mehr ist. Darum geht
es.“
Haben Sie schon eine Strategie für
„Rossija Segodnja“ („Russland heute“) erarbeitet? Der Kreml hat ja mit der
amerikanischen PR-Firma Ketchum zusammengearbeitet. Ist es Ihrer Meinung nach
annehmbar, dass für die Propaganda Russlands westliche Spezialisten zuständig
waren?
„Ich weiß nicht, ob es jetzt einen
Vertrag gibt oder nicht. Aber sagen wir mal, es gibt ihn. Erstens kann ich die
Effektivität dieses Vertrages nicht einschätzen, aber nehmen wir mal an, er ist
effektiv. Die Welt ist global, und Russland darf sich nicht selbst isolieren.
Wir sind ja nicht für Autarkismus, oder? Viele ausländische Journalisten sind
bei russischen Kanälen tätig. Sie verstehen, dass die Dominanz der sogenannten
angloamerikanischen Sichtweise auf dem Informationsfeld für ihre Länder
verderblich ist. Es werden offensichtlich totalitäre Staaten entstehen, wenn es
kein Gegengewicht in der Person Russlands gibt, das eine alternative Sichtweise
präsentiert.
Ich habe Kollegen, die 25 Jahre bei der
BBC gearbeitet haben und uns jetzt um Arbeit bitten; die sagen, sie können
diesen ganzen antirussischen Blödsinn nicht mehr ertragen, diesen Hass, diese
Zensur. Man ruft mich aus Paris an und erzählt, dass es in Frankreich eine
Stopp-Liste für Leute gibt, die nicht ins Fernsehen gelassen werden dürfen,
obwohl sie früher oft auf den Bildschirmen zu sehen waren und Kulturdominanten
Frankreichs gewesen sind.“
Und Sie können sie zeigen?
„Ohne Frage. Westliche Journalisten
sagen mir dagegen ganz ehrlich: sie haben eine richtige Zensur. Also ist das
normal, dass Leute in Russland arbeiten wollen — sie sehen in ihm eine gewisse
Alternative, eine nicht nur atomare, sondern auch eine Informations-Balance und
-Parität. Auf diese Weise verteidigen sie ihre Freiheit. Sich völlig auf die
eigenen Kräfte zu stützen und sich abzuschotten, ist nicht besonders effektiv.
Und Russland strebt auch nicht danach. Wir sind ein offenes Land. Russland
erklärt zum Beispiel, wir seien gleich morgen bereit, die Visa mit der
Europäischen Union abzuschaffen, aber die EU ist dazu nicht bereit. Wir haben
die Rollen getauscht. Früher gab es in der Sowjetunion Ausreisevisa — damals
hat die UdSSR sich abgeriegelt, aber jetzt verstehen wir, dass wir in dem
wunderbarsten Land der Welt leben.“
Quelle: Stimme Russlands
Quelle: Stimme Russlands