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Sonntag, 24. Juni 2012

Syrien: Assad, seine (Luft-)Hoheit

Helle mediale Aufregung herrscht über den Abschuss eines alten Phantom-Kampfjets der Türkei auf syrischem Hoheitsgebiet. Die betroffenen Staaten hingegen verhalten sich deutlich besonnener.
Zunächst die Fakten.
Am Freitagmittag wurde ein Kampfflugzeug von der türkischen Luftwaffenbasis Erhach kommend von der syrischen Luftverteidigung abgeschossen. Es drang in den syrischen Luftraum ein und wurde eine halbe Seemeile (knapp ein Kilometer!) vor der Küste Syriens beschossen. Die Hoheitsgewässer sind international 12 Seemeilen tief. Der Pilot versuchte nach dem Treffer in Richtung internationale Gewässer zu flüchten. Das Flugzeug stürzte aber nach ca. 6 Seemeilen  in syrischen Hoheitsgewässern ab. Der UNO-Generalsekretär  begrüßte die Zurückhaltung der Türkei nach dem Abschuss und die gemeinsame Suche von Syrien und der Türkei nach dem Flugzeug und den Piloten. 

Luftraumverletzung erwiesen
Alle Parteien sind, abseits des Mediengeschnatters,  nun gut beraten,  Ruhe zu bewahren. Die gesicherten Informationen sprechen für eine Luftraumverletzung der Türken und eine legitime Reaktion der Syrer. Die Türkei hat die Luftraum-Verletzung eingestanden.  Das Flugzeug wurde eindeutig auf syrischem Gebiet getroffen.
Syrien handelte den Gegebenheiten entsprechend. Da die Türkei direkt an Syrien grenzt bzw. vom türkischen Stützpunkt auf dem nahe gelegenen Zypern aus agiert, beträgt die „Vorwarnzeit“ nur einige Sekunden. Türkische Maschinen vor der syrischen Küste sind auch keine "vorwarnungsmäßige" Besonderheit, da sie regelmäßig von der Türkei nach Zypern fliegen. Ob es warnenden Funkkontakt oder Abfangjäger der syrischen Seite und Warnschüsse gab ist nicht bekannt. Allerdings, die eingedrungene Maschine mittels Abfangjäger höflich zur Landung zu bitten, kann man sich nur leisten, wenn die Vorwarnzeit lange genug und der Luftverteidigungsgürtel breit genug ist. Andernfalls ist ein Kampfjet in Minuten durch die Verteidigung und schon am Ziel. Naiv, dies den Syrern vorzuwerfen. Zudem sollten wir in Rechnung stellen, dass die Türkei ein NATO-Staat ist, der die feindlichen FSA-Truppen beherbergt, Sitz der Oppositionsregierung ist, Treffen der Anti-Assad-Allianz organisiert. Die Luftverteidigung eines Landes muss in der konkreten Spannungssituation zunächst grundsätzlich einen feindlichen Akt annehmen. Ein sich nicht identifizierendes Kampfflugzeug ist überall auf der Welt ein potentiell  feindliches Objekt. Es spricht natürlich alles für eine absichtliche Aufklärungsmission. Denn niemand würde in einer solchen Krise und Konfrontation leichtfertig in der Nähe des gegnerischen Luftraumes operieren; zu groß die Gefahr, den Luftraum des Gegners zu verletzten und einen bewaffneten Konflikt auszulösen. Ein Düsenjet legt selbst im Langsamflug die 12 Seemeilen in weit weniger als einer Minute zurück; nach Videoaufnahmen sogar im relativen Tiefflug. Dass die Maschine von landgestützten Fliegerabwehrkanonen getroffen wurde, spricht ebenfalls für ihren Aufenthalt in Landnähe. Jede Luftverteidigung hat die Aufgabe, ein Durchbrechen der Luftverteidigung in Richtung Landesinnere zu unterbinden. Erst recht in einer Zeit in der die NATO offen über Luftangriffe auf Syrien spricht. ("Es ist nicht die Frage 'ob' sondern "wann'.")

Nervosität geht auf das Konto der NATO
Die Kriegslisten der „Flugverbotszonen“ und „humanitären Korridore“ als Breschen in der jeweiligen Luftverteidigung, die in Deutschland besonders gerne von den Grünen propagiert werden, hat die syrische Luftverteidigung alarmiert. Die Aggression Libyens hat anschaulich gezeigt, dass Angriffshandlungen der NATO - ohne Vorwarnung und Kriegserklärung - heute zunächst aus der Luft vorgetragen werden. Das libysche Beispiel beweist das. Ein Narr der heutzutage seine Luftverteidigungssysteme im Ernstfall nicht einsetzt. Es darf auch nicht vergessen werden, dass die Türkei erst kürzlich die irakische Grenze mit dem ganzen verfügbaren land- und luftgestützten Waffenarsenal verletzte und dort gegen die PKK operierte. In den letzten Tagen hat die Türkei mehrfach den irakischen Luftraum verletzt und Luftangriffe geflogen.
Die Türkei spielt mit dem Feuer.

Russische Waffen sind kein Spielzeug
Die Syrer haben gezeigt, dass mit russischen Luftabwehrsystemen nicht zu spaßen ist und Syrien auch nicht zögert sie einzusetzen.
Erst am 13. März schrieben bzw. zitierten wir hier im Blog.
"Syrien betreibt Luftabwehrraketensysteme in viel größerer Zahl als es Libyen tat und hat sich weitaus besser dem Unterhalt und Ausbau dieser Raketenbatterien gewidmet. Vor allem aber hat Syrien erfolgreich seine Boden-Luft-Raketen-Systeme nach einem dichten und sich überlappenden Muster platziert, welches potentielle Angriffe auf die Luftverteidigung schwer machen würde. Iran finanzierte angeblich Syriens Einkauf von 50 russischen SA-22 Raketensystemen im Jahr 2007. Im November 2011 soll Russland zahlreiche Radaranlagen ausgebaut und modernste S-300 Raketensysteme an Syrien geliefert haben.  Mit dem russischen Flottenaufmarsch im Mittelmeer kamen auch russische Techniker die Syrien beim Betrieb der S-300-Systeme zur Seite stehen." gehackte Stratfor E-Mail
Möglich, dass es der  Zweck der Aktion war, die Reaktionsfähigkeit und Einsatzbereitschaft der Luftverteidigung zu testen. Die Syrer sehen sich schließlich einer NATO gegenüber bei der alle Arten von Luftraumverletzungen möglich sind; wie der Luftkrieg gegen Libyen, die Luftraumverletzungen Libyens durch Westerwelle, Sarkozy, und Cameron, oder auch der Flug KAL 007 – siehe unten – zeigten.
Die aggressive NATO-Arroganz gepaart mit ihrer "Flugverbotszonen"-Lüge erhöht natürlich das Risiko für Luftraumverletzer und senkt die Schwelle für den Einsatz der syrischen Luftverteidigung.
So gesehen ist weder die türkische Erklärung vom "Versehen" glaubhaft, noch ist die syrische rigorose Reaktion sehr fein. Doch die Botschaft ist angekommen.

Anmerkung
KAL 007
Abschuss der Fluges der KAL 007 im Jahre 1983. Es herrschte der kalten Krieg. Der  NATO-Raketenbeschluß war gefasst worden und die Russen reagierten sensibel auf Spionage, Provokationen und mögliche Angriffe des Westens. Die Boeing 747-Passagiermaschine, KAL 007, die seltsamerweise die für die zivile Luftfahrt gesperrte US-Luftverteidigungszonen nördlich der Nordpazifikroute benutzte, wurde von einem US-Aufklärungsflugzeug R-135 begleitet bzw. Überwacht. Sie verletzte den gesperrten Luftraum über den strategischen militärischen Anlagen auf dem russischen Kamtschatka und hielt dann auf die russische Insel Sachalin zu. Nach westlicher Darstellung hatten die Piloten die Abweichung von der Route nicht bemerkt. Auch die deswegen aufgestiegenen vier sowjetischen Abfangjäger die in Sichtweite der Piloten kreuzten wurden „nicht bemerkt.“ Der Funkkontakt der Russen wurde nicht erwidert. Wahrscheinlich hatten die Piloten das auch nicht bemerkt. Selbst die Warnschüsse seien nicht bemerkt worden. Schließlich schossen die Kampfjets die Maschine ab.