Mittwoch, 30. November 2011

Zu den so genannten Arabischen Revolutionen

Gastbeitrag von Dr. Karl Melzer

Früher wie heute spielte und spielt hinter/neben dem nationalen Aspekt immer auch der soziale eine nicht unbeträchtliche Rolle. Mit dem Abwerfen der kolonialen Bevormundung ging der Sturz oder zumindest Zurückdrängung „traditioneller“ – auf jeden Fall vorkapitalistischer – Klassenkräfte einher. (Extreme Beispiele die von Gaddafi liebevoll „Erdölschweine“ genannten Herrschercliquen auf der Arabischen Halbinsel)

Mit dem Verschwinden der sozialistischen Staatengemeinschaft verloren die zumeist über die Armeen zur Macht gelangten kleinbürgerlichen (religiöse Minderheiten, verarmte Sippen) Kräfte ihre wichtigste äußere Schutzmacht. Kein Wunder, daß die gestürzten/zurückgedrängten Kräfte Morgenluft witterten und die nie unterbrochene Partnerschaft mit dem Imperialismus zum Sturz der nichtkapitalistischen Staaten nutzten. (Nie vergessen das Bild des saudischen Königs mit Roosevelt an Bord des amerikanischen Kriegsschiffs – damals wurde der Pakt geschlossen: Schutz des arabischen Reaktion gegen Zugriff der Amis aufs Erdöl.) Reaktiviert wurde der Pakt anlässlich des Hinausdrängens der Sowjets aus Afghanistan. Die damals personell von Saudiarabien, finanziell und waffentechnisch von den USA und logistisch von Pakistan aufgestellten Kampfeinheiten ziehen seitdem ihre Blutspur durch die islamische Welt (inklusive Bosnien). Um akzeptabel zu sein, tarnte die arabische Erzreaktion ihre hässliche Fratze mit einer Glitzerfassade, verbarg sich das blutrünstige Monster hinter geheucheltem modernen Journalismus (al-Jazeera Katar). Ein nicht ganz unbedeutendes Werkzeug dürfte auch die mit saudischen Milliarden betriebene islamisch-wahabitische Mission sein – von den Moscheeneubauten und deren Personal bis zur Finanzierung der diversen islamistischen Organisationen.

Mir will scheinen, die Revolten/Umstürze von 2011 sind nur Fortsetzung und Vollendung des seit 1989 auch in der arabischen Welt ablaufenden konterrevolutionären Prozesses. Die beiden letzten Befreiungsbewegungen haben kapituliert - 1993 Oslo-Verträge, PLO zum Gendarmen Israels, status quo als Friedensprozess auf den St.Nimmerleinstag verlängert; POLISARIO paralysiert, setzt auf die von Marokko zugelassene Volksbefragung - die progressiven Regimes isoliert (und auch degeneriert), die „normal“ bürgerlichen Staaten hatten abgewirtschaftet, nur die formell feudalen Regimes hatten sich konsolidiert. Ich würde sogar so weit gehen, die auf parlamentarisch-elektorische Formen des Regimewechsels setzenden „Revolutionen“ in Tunesien und Ägypten in die Machenschaften der arabisch-islamischen Reaktion einzubeziehen. (So gesehen müsste man fast fragen, ob nicht die aktuellen Versuche der ägyptischen Kompradorenbourgeoisie, mit einem Militärputsch zu überleben, dem absehbaren Einzug der noch viel reaktionäreren Erdölschweine vorzuziehen ist.)

Mit dem Sichtbarwerden der sozialen Verwerfungen – Hungerrevolten, Aufbegehren der chancenlosen Jugend – sah die um die Saudis gescharte islamisch-feudale Reaktion ihre Zeit gekommen – und hat zugeschlagen. Wo es ging arabisch-intern (Marokko, Tunesien, Ägypten, Jordanien, Bahrain), wo es offensichtlich erforderlich war durch Inanspruchnahme des imperialistischen Militärpotentials (Irak, Libyen). Jetzt läuft die Kampagne gegen Syrien. Diesmal schaffen es die Erdölschweine mit Flaggschiff Katar, die Arabische Liga zu instrumentalisieren; das könnte auf eine arabische Intervention hindeuten, wo dann von Norden die NATO-Türkei mitmachen dürfte, wozu hat die schließlich die Unmassen Panzer in den letzten Jahren gekauft. Damit wäre den USA und Israel der Rücken freigehalten für die angekündigte Aggression gegen Iran. Womit wiederum den arabischen Regimes am Golf geholfen wäre, wenn die „schiitische Gefahr“ beseitigt würde.

Eigentlich wundert mich nur, dass diese Seite der aktuellen Tragödie völlig ausgeblendet wird, selbst Syrer setzen in nationalistischer Verblendung auf saudische Hilfe bei der Beendigung des Bürgerkriegs!